Der Busterminal „Terminal Sur“ in Medellín ist organisiert wie ein Flughafen. Mit der Ausnahme, dass wir die Tickets für die Fahrt entspannt eine Stunde vor Reisebeginn am Schalter kaufen. Danach heißt es Warten. Bis auf kleine Buden die Cola und Zigaretten verkaufen, hat noch nichts geöffnet. Mathias nutzt die Zeit den Terminal etwas zu erkunden und schwirrt die Treppen und Gänge entlang. Obwohl das Terminalgebäude so groß ist wie der Kölner Hauptbahnhof, hat er leider danach nichts zu berichten, das die Mühe wert gewesen wäre. Ich bewache derweil unser Gepäck. Da es nichts weiter zu tun gibt, gehen wir 30 Minuten vor Abfahrt zum Terminal. Die Tickets werden gecheckt und wir nehmen im Wartebereich Platz, der dem Wartebereich vor einem Flughafenterminal sehr ähnlich ist. Es gibt in symmetrischen Reihen angeordnete Bänke, die aus einzelnen grünen Kunststoffsitzen bestehen. Der einzige Unterschied ist der, dass hinter dem Gate kein Flugzeug, sondern ein Parkplatz mit Reisebussen wartet. Der Bereich ist dünn besetzt und die Zeit vergeht leider nur langsam. Plötzlich stehen zwei Polizisten neben uns. Einer steht rechts von uns an der Bank und der andere links mit der Hand auf der Waffe am Gürtel. Wir werden nach den Ausweisen gefragt und Mathias händigt unsere Reisepässe aus. Nach einem kurzen Check ist zum Glück alles in Ordnung und es scheint sich um eine Art Routinekontrolle gehandelt zu haben. Während die beiden Polizisten mit dem gleichen Vorgehen den nächsten Reisenden vornehmen, beruhigt sich mein Puls wieder. 

Nachdem kurzen Nervenkitzel vergeht die Wartezeit irgendwie schneller und wir sitzen gefühlte Minuten später im Bus. Wir haben uns einige Folgen von “The Office” bei Netflix aufs iPad geladen, sowie Bücher auf die Kindle und sind auf die acht Stunden Fahrt bestens vorbereitet. Der Bus ist bequem und wir haben ausreichend Platz. Wir werden zwar etwas lesen, aber das iPad rühren wir während der Fahrt nicht an. Stattdessen bestaunen wir  durch das Busfenster saftig grüne Hügel und Berge, die sich vor dem Fenster entfalten, sobald wir das Stadtgebiet von Medellín verlassen haben. Die Dichte der Vegetation trotzt jeder Beschreibung. Wieder erwarten wir in der Ferne einen T-Rex zu sehen, der sich seinen Weg durch den Dschungel bahnt, besonders wenn wir an einem der vielen Staus auf der einspurigen Route stehen. Obwohl wir die Vegetation Kolumbiens jetzt schon kennen, beeindruckt die Aussicht kein bisschen weniger als beim ersten Mal.

Angekommen am Busbahnhof in Salento liegen 15 Minuten Fußweg vor uns. Wir laufen eine Straße ohne Bürgersteig entlang. Vorbei an Hotels, Hostels und Restaurants. Dabei zielen wir auf die Markierung, die wir uns in Google Maps gemacht haben. Die Straße scheint den Dorfrand zu markieren, denn es führen immer wieder Straßen nach links und Bergauf, rechts von uns sind aber nur Häuser oder leere Grundstücke. Merkwürdiger Weise scheint unser Hostel laut Karte aber rechts von uns und abseits der Straße zu liegen. Auf der Höhe angekommen sehen wir einen Hang an dem ein schmaler Pfad herab führt. Gelb angemalte Autoreifen fassen ihn links und rechts ein. Der Boden besteht ebenfalls aus Autoreifen, die mit Beton ausgegossen sind und so als große Treppenstufen funktionieren. Weil der Pfad eher wie von einem Heimwerker für den Gemüsegarten angelegten Provisorium aussieht, sind wir stutzig. Da unsere Navigation aber eindeutig da lang zeigt und wir keine Alternativen sehen, gehen wir bergab. Auch wenn es sich anfühlt wie den Vorgarten eines Fremden zu betreten.

Tatsächlich stehen wir 100 Meter weiter vor unserem Hostel “Hostal la Pijaraña“. Der Eingang ist versperrt und wir stehen vor einem Stahlgitter. In Kolumbien wird viel Wert auf Sicherheit gelegt. Die Eingänge zu Hostels sind immer mit hohen Gittern und verschlossenen Türen versehen, an denen man klingeln, oder einen Schlüssel haben muss, um rein zu kommen. Salento scheint keine Ausnahme zu sein. Die Rezeption dahinter ist nicht besetzt. Nach einem Anruf und ein wenig Wartezeit macht uns die Chefin Natalia aber die Tür auf. 

Das Hostel wird von Natalia und Wendy betrieben. Wendy ist eine Kolumbianerin mit einem dauerhaften freundlichen Lächeln im Gesicht. Sie wohnt in einem der Zimmer mit ihrer sechs Jahre alten Tochter. 

Das Hostel ist gemütlich. Hinter der Rezeption ist ein Wohnzimmer wie man es in einer europäischen Wohnung erwarten würde. Zwei Ledercouches, ein Wohnzimmertisch aus Glas und ein rießiger Fernseher an der Wand. Es wirkt eher wie das private Wohnzimmer von Natalia und Wendy, als wie ein allgemeiner Bereich in einem Hostel. Nur, dass das Loftartige Zimmer einen groben Betonboden hat und zu keiner Seite eine geschlossene Wand ist, lässt uns nicht vergessen, dass wir in einem tropischen Land sind. Direkt hinter dem offenen Wohnzimmer stehen drei Spielautomation und es gibt eine Art angeschlossenen Pavillon aus Bambus mit vier Hängematten. Das Verschwimmen von dem Wohnungscharacter mit Hostelelementen lässt die ganze Unterkunft familiär wirken.  

Hinter dem Hostelloft ist ein grüner Innenhof. Hier stehen ein paar Bäume und abgeschnittene Baumstämme die als Sitzgelegenheiten dienen. Um den Innenhof sind Bambushütten verschiedener Größe angeordnet in denen die Gäste untergebracht werden.

Unsere Hütte könnte einfacher nicht sein. Wir haben ein kleines Haus aus Bambus in dem so gerade ein 1,4 Meter breites Bett Platz findet. Zu den Seiten und zum Fußende ist ein Meter Platz, um sich gerade so um das Bett bewegen zu können und die Rucksäcke irgendwo abzustellen. Als einziges Fenster dient eine Holzklappe die zum grünen Wald hinter dem Grundstück zeigt. 

Insgesamt lädt hier alles zum Wohlfühlen ein und wir machen uns auf, um Salento zu erkunden und etwas zu essen. 

Die Stadt

Salento ist ein niedliches Städtchen, das vom Tourismus bestimmt wird. Im Zentrum befindet sich eine große Piazza der “Plaza de Boliviano”. Hier gibt es eine kleine Grünanlage mit Palmen und Rasenflächen. Außerdem stehen hier eine Batterie an alten kultigen Jeep Wrangler. Die Jeeps warten darauf, bis zum Bersten mit Touristen gefüllt zu den Kaffee Plantagen oder ins Valle de Coco zu fahren. Oft sind die Jeeps so voll, dass die letzten Touris hinten auf dem Trittbrett stehend, mitfahren müssen, beziehungsweise dürfen. Die Autos müssen gut gepflegt werden, denn die kantige Form und die Ausstattung deutet darauf hin, dass die Autos Jahrzehnte alt sind. Die Türen sind häufig nur eine Metallstange, die mit einer Plane bespannt ist und im Innenraum findet sich außer einem Lenkrad und analogen Anzeigen für Drehzahl, Geschwindigkeit und Tank – nichts. Wir werden uns für unseren ersten Ausflug für ein noch ursprünglicheres Fortbewegungsmittel entscheiden als die alten Jeeps.

 

Mitten durch die Stadt führt die Carrera 6, die Hauptstraße von Salento, die auch als Shoppingmeile verstanden werden kann. Das eine Ende der Carrera 6 mündet in den unscheinbaren Pfad, der zu unserem Hostel führt. Das andere Ende mündet an den Anfang einer Treppe, die zum “Mirador Alto de la Cruz” führt. Von hier oben hat man einen schönen und fast vollständigen Blick auf Salento. Der Blick von hier führt die Carrera 6 entlang und verschwindet in der Ferne im dichten Grün Kolumbiens. Rechts und links der Carrera 6 wechseln sich Geschäfte für Schmuck, Ponchos und Naturkosmetik mit Restaurants und Cafés ab. 

Die erste Erkundung - Salento zu Pferd

Während unserer langen, langen Wartezeit in Guatapé, haben wir uns mit zwei Frauen aus Deutschland angefreundet, die ebenfalls einige Tage vor unserem Kennenlernen in Salento gewesen sind. Die Beiden haben uns den Kontakt von Joe gegeben. Joe organisiert und führt Touren durch die Kaffeplantagen in Salento durch. Das Besondere ist, dass Joe keinen Jeep hat, sondern einen Stall mit Pferden. Wie es der Zufall will, ist Joe’s Adresse schräg gegenüber von unserem Hostel. An der Adresse treffen wir nur eine junge Frau, ihr Kind und einen Hundewelpen an. Während Mathias für den nächsten Tag gemäß der Empfehlung einen Ausritt mit Joe organisiert, setze ich mich zu dem verspielten Welpen und bin erstmal nicht mehr ansprechbar. Um 09:00 Uhr morgens am nächsten Tag soll es losgehen. 

Joe ist ein kleiner dürrer Kolumbianer mit dem stolzesten Schnurrbart, den wir je gesehen haben. Mit seinem hellen Safari Hut, der hellbraunen Weste über einem ausgeblichenen löchrigen T-Shirt und der Machete in einer braunen Lederscheide, die an seinem Gürten hängt und ihm bis zum Knie geht, sieht er aus wie ein Cowboy. Oder wie eine kolumbianische Version von Osimity Sam. Pünktlich um 09:00 Uhr treffen wir uns an der Adresse vom Vortag gemeinsam mit sechs weiteren reitfreudigen Touris. Hier tauschen wir unsere Schuhe gegen Gummistiefel ein und gehen den Pfad 100 Meter weiter entlang bis zum Pferdestall. Am Stall erwartet uns Joe und unsere Pferde, die bereits am Zaun angebunden, bereit stehen. Joe fragt in der Gruppe die Reiterfahrungen der Teilnehmer ab und lockert die Stimmung mit einigen Witzen auf, die er gekonnt unter seinem Schnurrbart heraus schießt. Die Reiterfahrung in der Gruppe ist eher dünn. Mathias und ich sind da keine Ausnahme. Dennoch teilt Joe jedem von uns Handverlesen sein Pferd zu. Es wirkt ein bisschen wir der Zauberstabkauf bei Harry Potter. Die Kriterien der Zuordnung sind nicht nachvollziehbar, aber am Ende haben alle das Gefühl auf dem richtigen Pferd zu sitzen. Ich bekomme direkt als Zweite mein Pferd, Mathias als Vorletzter. 

Die Befehle die Tiere zu lenken sind schnell erklärt und verstanden. Theoretisch. Mathias’s Pferd steht in der Reihe leider ganz am Ende. Es scheint sich ebenfalls für den Anführer zu halten, denn als es losgeht und Joe sich eigentlich erstmal an die Spitze der Kolonne setzen will, stampft es gemächlich und ungeachtet von Mathias’s Signalen als Erstes den steilen Pfad empor, während er sich an die Zügel klammert und so tut als sei Geschwindigkeit und Richtung von ihm gewollt. 

Als wir am Ende des steilen matschigen Pfades an einer Straße ankommen, setzt Joe sich an die Spitze der Kolonne und ich bekomme auf der breiten Straße immer mehr das Gefühl, dass die Bewegung des Pferdes und meine Signale mit dem Zügel irgendwie zusammen passen. Ich bin weiter hinten in der Kolonne und nach einer halben Stunde Reiten und Üben schaffen wir es nebeneinander zu sein. 

Der Austritt ist spektakulär. Wir reiten mitten durch den Dschungel auf engen Pfaden die gerade so Platz bieten, um die Tiere durch das Dickicht zu führen. 

Ein besonderer Nervenkitzel sind die Flussdurchuquerungen. Die Pferde stapfen durch die Strömung des Wassers, das bis an unsere Schuhe reicht. Da sie den steinigen Untergrund nicht sehen können, rutschen die Hufen regelmäßig ein Stück weg, lassen das Pferd aber nie sein Gleichgewicht verlieren. Da das Wegrutschen und der Untergrund aber nicht vorhersehbar sind, kann ich als Reiter nur hoffen, dass das Tier sich fängt und nicht fällt. Auf der einen Seite hat man also das starke Bedürfnis mit den Zügeln die Route durch den Fluss vorzugeben, entlang eines Pfades auf dem man so wenig Löcher und große Steine wie möglich vermutet. Auf der anderen Seite erscheint es clever das Tier den Weg durch das Wasser selber suchen zu lassen und auf die Erfahrung der Pferde zu vertrauen. Die Ausstiege aus dem Flussbett sind teilweise so steil und schlammig, dass ich sie mir zu Fuß nicht zutrauen würde. Die Pferde trotten aber sicher und selbstbewusst die Strecke entlang. 

An einer der Kaffeeplantagen ist eine kleine bestuhlte Aussichtsplattform mit einem Cafe, das Kuchen und Cappuccino verkauft. Wir sind froh über die Pause und Mathias genehmigt sich ein Stück Karottenkuchen und einen Cappuchino in dem Café, auf dessen Felder wir von hier schauen können. Neben uns sitzt eine junge Frau mit der wir ins Gespräch kommen. Nach wenigen Worten finden wir heraus, dass sie ebenfalls aus Weinstadt kommt. Zufällig jemanden in vergleichbarem Alter in Kolumbien bei einem Austritt zu treffen, der aus dem selben 27 000 Einwohnerdorf kommt, fühlt sich verrückt an. Die Welt ist ein Dorf, so klein, dass wir ihr am nächsten Tag wieder begegnen werden.

Als wir an einem Aussichtspunkt halten, um Fotos zu machen, entdecke ich einen merkwürdigen Ausschlag auf meiner Haut. Kleine rote Punkte erstrecken sich in eindeutiger Regelmäßigkeit über die Arme und die Schultern. Da es weder schmerzt noch juckt, entscheiden wir uns die Tour fortzusetzen und uns später darum zu kümmern. Im Idealfall ist es eine kleine allergische Reaktion auf die Pferde. 

Wir reiten weiter an sagenhaften Aussichten über die Kaffeeplantagen und durch Waldwege und trockene Flussbetten. Zum Schluss erwartet uns nochmal ein kleiner Nervenkitzel, als wir den Steilen Pfad kurz vor dem Stall wieder bergab reiten müssen. Wir sind beide glücklich aber froh, als nach drei Stunden der Ausritt vorbei ist und in unseren Beinen und im Rücken kündigt sich ein ordentlicher Muskelkater an. 

Außerdem hat sich der Ausschlag nicht gebessert und wir müssen zum wiederholten Mal auf dieser Reise zu einem Arzt.

Ein Besuch in Krankenhaus

Im Hostel angekommen fragen wir Natalia nach dem nächsten Krankenhaus. Wir zeigen ihr die roten Flecken auf Ninas Haut und sie folgert selbstbewusst, dass es sich um eine Vergiftung handeln muss. So sehr wir sie mögen, möchten wir uns doch eine professioneller Meinung einholen. 

Zum Glück funktionieren die Krankenhäuser im Ausland deutlich effizienter als wir es von einer Notaufnahme in Deutschland gewohnt sind. Das Krankenhaus ist fünf Gehminuten vom Hostel entfernt. Unser Anliegen ist schnell erklärt und ich bin wenige Minuten später im Behandlungszimmer. 

Der Arzt im Krankenhaus stellt eine allergische Reaktion fest. Wahrscheinlich auf das Lavendelöl, das ich am Tag zuvor in Salento gekauft und zum ersten Mal benutzt habe. Ich bekomme eine Salbe und ein Antiallergikum verschrieben und bin erleichtert, dass es nichts Schlimmeres ist. 

Die Aufregung des Tages hat schon wieder für eine Woche gereicht. Wir genießen abends hervorragendes Essen im Angel Reggie Bistro, ein kleines Süßes Bistro mit gutem vegetarischem Essen.

Gesperrte Pfade und geheime Wasserfälle

Am nächsten Tag fühlen wir uns wieder von etwas Abenteuerlust motiviert und machen uns zu Fuß auf zum Wasserfall “Santa Rita la Cascada”. Auf dem Weg dahin kommen wir am Busbahnhof vorbei und besorgen uns schonmal die Tickets für die Busfahrt zurück nach Medellín. Wir erfahren, dass wir von hier aus für kleines Geld die sechs Kilometer der Strecke, die wir eigentlich laufen wollten, mit dem öffentlichen Bus fahren können. Da es sich bei dem Teil um eine enge, vielbefahrene Straße handelt, springen wir kurzerhand in den Bus. Angekommen am “Reserva Natural La Patasola”, in dem sich der Wasserfall befindet, erwartet uns direkt eine grüne Landschaft. Satte Wiesen, grüne Büsche und Palmen zeichnen die Umgebung. 

Es gibt einen offiziellen Eingang in den Nationalpark, inklusive einem großen Schild mit einer Karte der Umgebung und einem kleinen Foodtruck, der Kaffee und Chips verkauft. Wir erfahren, dass der Rundkurs geschlossen ist, da der Weg nicht begehbar ist. Die Wasserfälle lassen sich zum größten Teil trotzdem besichtigen. 

Wir starten mit der Route wie der nette Guide am Eingang uns empfohlen hat. Es ist Sonntag, daher ist der Weg voll von Kolumbianern aus der Umgebung die hier entspannen und die Natur genießen wollen. Der erste Wasserfall ist deshalb auch so überfüllt, dass wir direkt weiter laufen. Irgendwo hier sollte der Rundkurs beginnen, der gesperrt ist. Wir können unsere Position nicht 100% ig auf der Karte zuordnen und ein Schild, das uns am Weitergehen hindert, fällt uns zumindest nicht auf. Nach einigen Metern Richtung Wald befinden wir uns auf einem matschigen engen Pfad der steil bergauf geht. Wir können uns vorstellen, dass der Boden sich in eine steile Rutsche verwandelt, sollte jetzt Regen einsetzen. Die feuchte Luft und die Anstrengung der steilen Strecke treiben uns den Schweiß auf die Stirn und durch die Kleidung. Nach 30 Minuten bergauf, ohne, dass wir einen Hinweis zur Orientierung erhalten haben, zerrt die Ungewissheit ob wir gerade einen Rundkurs laufen, oder einfach immer weiter in den Wald an unseren Nerven. Zum Glück treffen wir zwischendurch immer wieder Kolumbianer, deren Antworten wir entnehmen, dass wir richtig sind.

Unterwegs werden wir durch grüne Vegetation und Ausblicke über die weiten grünen Wälder belohnt. Erst am Ende der Strecke erreichen wir wieder den Bachlauf des Flusses, an dem wir in einem natürlichen Pool ins Wasser springen können. Obwohl das Wasser einskalt ist, lässt Mathias sich die Gelegenheit nicht entgehen. 

Von dem Pool aus führt ein kleiner Pfad wieder zurück in den Wald. Wir treffen zum Glück unsere neue schwäbische Bekannte aus Weinstadt, die gerade aus dem Pfad kommt und uns verrät, dass sich am Ende ein weiterer Wasserfall verbirgt, an dem keine Menschenseele ist. Die Aussicht auf einen Wasserfall genießen zu können, ohne von einer Menschenmenge von Fotohungrigen Familien umzingelt zu sein, motiviert uns den Abstecher zu machen. Obwohl nach den zwei Stunden Waldweg unsere Kräfte mindestens auf Reserve sind. 

Der Abstecher lohnt sich. Am Ende des matschigen Pfades sind wir ganz alleine an großen schwarzen Felsen, die aus dem Wald hervorragen und an denen ein Wasserfall in einer dünnen Schicht über den breiten Felsen herabläuft. Der Felsen wirkt so einladend, dass ich ungeahnte Energiereserven mobilisiere und an den Felsen den Wasserfall aufwärts klettere. Wir genießen die Einsamkeit und die Nähe mit der wir an das Naturphänomen herankommen. 

Das Tal der hohen Palmen - Valle de Cocora

Am nächsten Tag geht es ins Valle de Cocora. Berühmt ist das Tal wegen der kerzengeraden Wachspalmen, die endlos in den Himmel wachsen. Diesmal springen wir morgens um 09:00 Uhr in einen der alten bunten Jeep Wrangler. Mathias bekommt einen der Prime Seats und darf hinten auf dem Trittbrett stehen. Der Fahrtwind am Morgen ist eher kühl und er ist froh ein langes Oberteil anzuhaben. Neben ihm steht ein junger Franzose im T-Shirt der Platz und Kleiderwahl sichtlich bereut. Auf dem Weg sammeln wir immer wieder Mitfahrer für einen Teil der Strecke ein. Die drängen sich dann zu Mathias und dem Franzosen auf das Trittbrett. 

Der Nationalpark besteht aus einem drei stündigen Rundkurs, der mit dem Palmental beginnt oder aufhört, je nachdem in welche Richtung man die Wanderung macht. Mir ist nicht nach Wandern zumute und so schauen wir uns gemeinsam zu Beginn das Palmental an, bevor Mathias sich auf den Wanderweg begibt. Unnatürlich gerade und steil ragen die Riesenpalmen Richtung Wolken. Die Palmen sind nicht wie ein dichter Wald, sondern vielmehr vereinzelt auf den saftig grünen Hügeln angeordnet. Die Position wirkt willkürlich, aber durch die geraden parallelen Stämme wirkt die Anordnung trotzdem sortiert. Vom Fuß des Hügels wirkt es, als ob die Kronen der Palmen die Wolkendecke wie Säulen stützen. Durch die Hügel führen gerade, ordentlich umzäunte Wege, die aus einzelne Steinplatten auf dem grünen Boden bestehen und auf beiden Seiten mit gut gepflegten Holzzäunen umgeben sind. 

Wir spazieren durch die Hügel und versuchen mit dem Blick Richtung Himmel die Ansicht der moniert wirkenden Palmen zu verarbeiten. Die Landschaft wirkt fast künstlich und erst als ich mich direkt neben eine Palme stelle um sie zu umarmen, realisieren wir, dass es sich um echte Bäume handelt. 

Ich mache mich von hier aus auf den Weg zurück nach Salento und springe wieder in einen Jeep. Mathias biegt in den Wanderweg Richtung Wald. Zu Beginn besteht der Weg aus einer staubigen Schotterpiste, die breit genug für ein Auto ist und bergauf geht. Rechts und links sind Wiesen auf denen einige Pferde unbeeindruckt hinter dem Zaun grasen. In der Landschaft verteilt stehen immer wieder wie aus dem Boden explodiert die riesigen Palmen und stechen mit ihren winzig wirkenden Kronen am Ende der sonst nackten Stämme aus der Landschaft hervor. Sogar aus dem dichten Dschungel stechen die Palmen erhaben hervor. 

Es geht wieder bergauf und die Umgebung ändert sich langsam von weiten Feldern, zu dichtem Wald. Links vom Weg erstreckt sich steil der Wald des La Pastora mit dichten grünen Büschen und Sträuchern. Rechts des Weges geht es bergab und hinter den Bäumen verbirgt sich die Aussicht über das Tal der Palmen. Der Weg ist immer noch so breit wie eine Straße und die Steigung sanft, sodass man sich gut auf die Natur konzentrieren kann. 

Am Ende des breiten Weges lichtet sich der Wald zur rechten Seite und eröffnet eine wunderschöne Aussicht über die dicht bewaldeten Hügel des Valle de Coco. Am Rand wachsen rote Blumen, die fast aussehen, wie kleine Kopien der Riesen Palmen mit einer leuchtend roten Krone. Auf Augenhöhe ziehen dicke, schneeweiße Wolken durch die grünen Hügel. Hier gibt es eine kleine Wiese in der Größe von zwei Parkplätzen, die einlädt Pause zu machen. Mathias macht es sich hier gemütlich und genießt einen Kakao. Das Trinkpäckchen hat er im Rucksack mit hier hoch geschleppt und der süße schokoladige Geschmack belohnt für das kleine Extragewicht. Auch wenn die Kombination aus Kakao und schweißnasser Haut auf einer Bergwiese in der Sonne etwas merkwürdig wirkt. Die Wiese markiert den höchsten Punkt des Wanderweges, denn ab hier geht es bergab und der Weg ändert sich von der straßenbreiten Route, zu einem schmalen Pfad der in Serpentinen steil bergab führt und in der Breite Platz für maximal eine Person bietet. Der Weg führt weiter durch dichten Wald und immer wieder entlang des Flusses, der einen zielsicher zurück ins Valle de Coco navigiert. 

Bier und Schwarzpulver - der Kolumbianische Nationalsport

Abends machen wir uns auf den Weg in die beste Tejo Bar Salentos. Es riecht nach Feuerwerk und Lehm als wir die Bar betreten. Immer wieder knallt es in den Ecken, gefolgt von freudigem Gelächter der Spieler. Die Anordnung der Spielbahnen gleicht der einer Bowlingbar. Nur, dass der Boden aus trockner Erde besteht, anstelle von glattem Holz und am Ende der Bahnen warten bunte Autoreifen hinter einem kleinen Quadratmeter großen Lehmfeld anstelle von Kegeln.

Tejo ist der lokale Volkssport bei dem es darum geht seinen Gegner nach Punkten zu schlagen. Dafür werden auf einem Metallring vier kleine Päcken mit Schwarzpulver symmetrisch angeordnet. Jeweils auf 12, 3, 6 und 9 Uhr. Von fünf Meter Entfernung wird abwechselnd ein faustgroßer Stein auf den Metallring geworfen, mit dem Ziel, sowohl eins der Päckchen zum explodieren zu bringen, als auch mit dem Stein innerhalb des Rings zu landen, oder zumindest so nah wie möglich daran. Pro Runde die aus jeweils einem Wurf besteht, bekommt zusätzlich derjenige einen Punkt, der dem Metallring am nächsten ist. 

An der Bar gibt es Getränke und wir bekommen eine Hand voll kleiner Papier Päcken ausgehändigt. Der Metallring sieht aus wie ein angerostees Hufeisen und ist in der Mitte eines rechteckigen Lehmkastens angeordnet. Im dem Lehm bleibt der Stein bei einem Fehlversuch stecken, ohne weg zu springen. So lässt sich leicht der Sieger pro Runde ermitteln, wenn es nicht zu einer Explosion gekommen ist. 

Jedem Abwurf des Wurfsteines folgt eine Sekunde fast unaufhaltbarer Spannung ob der Stein eines der Päcken trifft, oder lautlos im Lehm versinkt. Auch nach gefühlt 100 Fehlversuchen hört es nicht auf spannend zu sein. Dann plötzlich klappt es. Ich bin an der Reihe und treffe mittig das erste Päcken. Es knallt wie ein Böller an Silvester, das Papier wird in die Luft geschleudert und fängt Feuer und der Stein landet direkt neben dem Metallring. Der Geruch des verbrannten Schwarzpulvers der mit der Rauchwolke bei uns ankommt, wirkt wie ein Applaus, um den Triumph des Treffers zu unterstreichen. 

Am Ende gewinnt Mathias trotzdem das Spiel nach Punkten, als krönenden Abschluss seines Ausfluges. Zufrieden und müde machen wir uns auf den Weg nach Hause zu unserer letzten Nacht in Salento, bevor es am nächsten Morgen zurück nach Medellín geht.

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