13 Stunden für 455 km – eine Durchschnittsgeschwindigkeit von 35 km/h und kein Klo an Board. Wir sind heilfroh als wir um 05:00 Uhr morgens in Rurrenabaque am Busterminal einfahren. Die Luft ist tropisch warm und entspannt uns sofort. Nachdem wir unser Gepäck eingesammelt haben, springen wir dankbar in eines der TukTuks, die auf die anreisenden Busgäste warten. Wir genießen den warmen Fahrtwind auf unserer Haut und in den Haaren, auch wenn wir die Nacht im Bus zu wenig und zu schlecht geschlafen haben. 

Das Hostel - ein Refugio für Frühaufsteher

Angekommen am Hostel nimmt uns die TukTuk Fahrerin die unangenehme Aufgabe ab, einen Hostel Mitarbeiter wach zu klingeln. Das Hostel ist am Bürgersteig durch einen hohen schwarzen Zaun umgeben. Wir stehen gemeinsam mit zwei weiteren Reisenden aus unserem Bus am Gitter und sehen, wie der Besitzer verschlafen hinter dem Schreibtisch erscheint, der unter einem Vordach für den Check-In bereit steht. Eigentlich ist es sinnlos so früh bei dem Hostel aufzutauchen. Wir können frühestens in acht Stunden in unser Zimmer und nach einem Frühstück müssen wir um die Uhrzeit niemanden fragen. Aber uns steckt die Müdigkeit tief in den Knochen. Wir brauchen einen Ort zum Ausruhen, wo unser Gepäck sicher ist und wir wüssten sonst auch einfach nicht wohin mit uns.

Wir erwarten unsanft abgewiesen zu werden. Aber wir haben Glück. Das Hostel ist an Gäste, die um diese Uhrzeit ankommen gewöhnt und wir werden in einen Innenhof geführt, vorbei an einem rechteckigen Pool. Der Innenhof ist eingerahmt von den Zimmern an deren offenen Fenstern wir vorbei gehen. Hinter dem Pool befindet sich ein großer Pavillon mit einem Strohdach und einer vier Meter hohen Holzsäule in der Mitte. Von der mittleren Säule zu den äußeren Stützen, die das Dach tragen sind im Kreis acht Hängematten befestigt. Hier dürfen wir die Stunden bis zum Checkin, aber vor allem die restlichen Stunden der Nacht verbringen. Wir sind überglücklich und fallen in den Hängematten in einen dankbaren tiefen Schlaf. 

Das Tor zum Dschungel

Insekten essen, Flusswasser trinken und in selbstgebauten Bambushütten übernachten. So klingt die Dschungeltour, die die beiden anderen Mitreisenden aus unserem Bus geplant haben. Sie liegen neben uns in den Hängematten und haben den gleichen Schlafmangel aufzuholen wie wir. Die Pläne der beiden klingen aufregend. Aufregender als die Safari, die wir uns rausgesucht haben. Kurzerhand lassen wir uns überzeugen und marschieren später am Tag zu der Agentur die die Touren organisiert. 

„Wir sind in Bolivien und hier spricht man spanisch“. Das ist der zweite Satz aus dem Mund des Mitarbeiters der Agentur für die Dschungeltouren. Wir schlucken die Argumente, dass er für eine Tourismus Firma arbeitet, oder dass die Frage nach Englisch doch erlaubt sein müsste runter und ergeben uns unserem Schicksal die Planung und Buchung der nächsten vier Tage auf spanisch durchführen zu müssen. Wir einigen uns auf zwei Tage Safari im Nationalpark Pampas und zwei Tage Semi-Survival Trecking durch den Bolivianischen Dschungel. Die Bezahlung gestaltet sich maximal kompliziert. Es wird natürlich nur Bargeld akzeptiert. Aus den Automaten in Rurrenabaque welches zu bekommen ist aber alles andere als ein Selbstläufer. Die Schlange vor dem nächsten Geldautomaten fasst 30 Menschen. Die anderen Automaten in der Umgebung sind schon leer. Eine Garantie überhaupt an Bargeld zu kommen gibt es nicht.  Auch hier ergeben wir uns wieder unserem Schicksal und reihen uns in die lange Schlange Bolivianer ein. 

Teil 1: Safari auf dem Rio Yacuma, ein Aufwärmprogramm

Am nächsten Morgen geht es los zur Safari. Die Agentur gibt uns den Tip lange weiße Oberteile zu tragen, um für die Moskitos wenig einladend auszusehen. Ich habe etwas passendes. Nina kauft sich im Second Hand Laden für 3 Euro ein weißes Businesshemd. Mit der Idee ist sie nicht alleine und da der Empfehlung alle anderen Safari Teilnehmer ebenfalls folgen, sieht die ganze Truppe aus als wären wir eine Hochzeitsgemeinde von Teenies, die zum ersten Mal ein Hemd tragen müssen. 

Blinde Fahrten durch Staubwolken prägen die drei Stunden Autostrecke bis zum Yacuma River. Die Straße ist löchrig und besteht zum großen Teil aus einer staubigen Piste. Jedes Fahrzeug zieht eine meterbreite, dichte Staubwolke hinter sich her. Bei jedem Überholmanöver muss der Fahrer daher blind die Wolke durchqueren, während er abschätzt, wo vor Ihm die aufwirbelnde Quelle ist. Gleichzeitig muss er hoffen, dass uns zum einen kein Fahrzeug in der Zeit entgegenkommt und zum anderen, dass das vorausfahrende Fahrzeuge sich nicht von seiner Fahrspur entfernt und wir es plötzlich anschieben. Natürlich lässt der Fahrer so gut wie keine Gelegenheit für dieses Glücksspiel aus.

Angekommen am Fluss werden alle in einem chaotischen Verfahren auf 1 Meter schmale Boote verteilt. Am Heck der Boote ist ein kleiner Außenborder, an der Spitze weht eine kleine bolivianische Flagge. In den Booten befinden sich an der Reling montierte Sitze, die sich zur Reling hin hochklappen lassen, um durch das Boot laufen zu können. Es sind immer zwei Sitze nebeneinander, die heruntergeklappt gerade eben genug Platz bieten, damit zwei Erwachsene nebeneinander sitzen können. Die Rucksäcke kommen ins Heck zum Captain und wir nehmen gemeinsam mit drei israelischen Anfangzwanzigern Platz. 

Es dauert nicht lange da sehen wir die ersten Kaimane links und rechts am Ufer liegen. Die Tiere liegen entspannt im Schatten und haben Ihre tödlich aussehenden Münder geöffnet. Scheinbar in Erwartung, dass sich ein Affe oder Vogel hinein verirrt und sie nur zuschnappen müssen. Gepaart mit dem Bewusstsein, dass es im Wasser dazu Piranhas gibt, wirkt das Boot plötzlich noch schmäler als es sowieso ist. 

Die Fahrt über den Fluss ist traumhaft. Der warme Wind kühlt und ist angenehm auf der Haut. Alles um uns ist grün und am Ufer wechseln sich verrückte Vögel, grüne Caimane,  und Capybaras (Riesenmeerschweinchen) ab. Als wir mit dem Boot am linken Ufer leicht in einen Strauch fahren und die Caimane (zum Glück) etwas aufscheuchen, nähern sich uns über die Äste kleine Makaken. Juan unser Captain füttert die Affen mit kleinen Brotstücken und lockt sie langsam auf unser Boot. Die Tiere sind misstrauisch und gucken unentwegt abwechselnd zum Brot und nach unten zum Wasser. Juan erklärt uns, dass sie gewohnt sind nach lauernden Krokodilen Ausschau zu halten, die versuchen die Affen von den tief hängenden Ästen zu fischen. Noch bevor wir uns überlegen können ob und wie recht uns das vorgehen ist, oder ob wir allergisch sein könnten, hat Juan die Affen auf unsere Köpfe und Schultern gelockt. Zugegeben macht uns die kleine Interaktion mit den Affen Spaß

Baumhäuser im Urwald

Ein kleines Dorf aus verbundenen Baumhäusern beschreibt unsere Unterkunft wohl am besten. Nach Stunden auf dem Rio Yacuma kommen wir in der Unterkunft an. Kleine Hütten die auf Stützen und an Bäumen befestigt und durch ein Netzwerk aus analog gebauten Stegen verbunden sind. In den Hütten hat ein 1,40 Meter Bett, das sorgfältig mit einem Moskitonetz umspannt ist, gerade so Platz. Das Bad ist simpel, aber funktionial. Die Dusche besteht nur aus einem Rohr an der Decke das mit einem Drehventil auf und zu gemacht werden kann. Für eine Nacht im Dschungel aber haben wir alles was wir brauchen. 

Vor dem Abendessen gehts nochmal aufs Wasser um Piranhas zu angeln. Dafür halten wir wieder am Ufer des Rio Yacume an, bestücken kleine Angelhaken mit Fleisch und werfen diese direkt am Boot ins Wasser. Sobald der Angelhaken im Wasser ist wird schnell an dem Stück Fleisch gerissen, von allen Richtungen und in einer Häufigkeit die vermuten lässt, dass der Schwarm an Piranhas im trüben Wasser nur darauf gewartet hat. Die Strategie ist eigentlich: Sobald man durch Ruck spürt, dass ein Fisch an dem Fleisch interessiert ist, schnell den Haken einziehen, um den Fisch an den Haken zu bekommen. 

Die Fische sind aber so schnell, dass das Stück Fleisch schon weggegessen ist, bevor man es schafft zu reagieren. Dennoch ist Nina im Boot die Erste, die einen Prianha aus dem Wasser holt. Und bald haben alle den Dreh einigermaßen raus. 16 Piranhas sind die Ausbeute unserer Angeltour, ein Ergebnis, dass sich sehen lassen kann. 

Morgen werden wir in eben diesem Wasser zwischen Piranhas und Krokodilen Baden gehen. Das wissen wir jetzt aber noch nicht und wenn doch, würden wir es nicht glauben. 

Zum Sonnenuntergang fahren wir auf eine Wiese auf der sich alle Boote treffen. Es gibt einen kleinen Kiosk mit Bier und Cola, der nur für die Safari Touristen da sein muss. Wir nutzen die Gelegenheit, um uns unter die anderen Touris zu gesellen, die ausnahmslos alles aus Israel kommen. Wir lernen, dass alle nach Ihrer mehrjährigen Army Zeit reisen gehen. Entweder nach Südamerika oder nach Süd-Ost Asien. Die Reisen werden zwar selber organisiert, aber es gibt Whatsapp- und Facebook-Gruppen, in denen Infos und Erfahrungen zu Hostels, Agenturen und Orten ausgetauscht werden. Praktisch ist es, führt aber auch dazu dass die Jungendlichen mit Ausnahmen von Verirrten wie Nina und mir, während der Reise weitestgehend unter ihren Landsleuten bleiben. 

Die gefangenen Piranhas werden frittiert zum Abendessen serviert und schmecken köstlich. Die Gesichter mit den großen spitzen Zähnen sehen frittiert nicht weniger gefährlich aus. Für den nächsten Morgen verabreden wir uns mit Jimmy und den anderen zum Sonnenaufgang. 

Nächster Tag: Chaotisch, aber wir kommen heil durch

Der nächste Morgen beginnt beispielhaft für den ganzen Tag. Es ist 05:00 Uhr morgens. Wir wollen uns mit den anderen in 20 Minuten am Wasser treffen. Obwohl der Bungalow der Israelis direkt neben unserem ist, hören wir keinen Mucks. Kein Wecker, kein Gerede von Männern die sich gegenseitig wecken, kein Knarzen der Holzlatten in der Hütte oder dem Steg davor. Wir scheinen die einzigen zu sein, die wach sind. Unbeirrt ziehen wir uns an und gehen zum Wasser. Von niemandem aus unserer Gruppe ist hier eine Spur. Weder Jimmy noch einer von den Israelis ist hier. 

Nach 20 Minuten kommt eine andere Gruppe mit ihrem Captain, die sich wohl zu dem selben Plan verabredet haben. Der Fahrer des Bootes heißt Jack. Wo Jimmy oder der Rest unserer Gang ist, kann er uns nicht beantworten. Er schlägt vor uns einfach bei sich im Boot mitzunehmen. Wir springen zu Ihm ins Boot, auch wenn die Spontanität uns etwas überrumpelt. Aber die Alternativen sind begrenzt, sogar auf – zurück ins Bett gehen- limitiert. 

Die Morgenluft auf dem Fluss ist kühl und immer noch feucht und das Wasser wirkt besonders ruhig. Die Caimane und Vögel um uns herum scheinen gar nicht geschlafen zu haben und sind wie am Tag davor schon auf ihren Ästen und in Gebüschen versteckt. Plötzlich taucht vor unserem Boot erst eine pinke Nase, dann eine Rückenflosse aus dem Wasser auf – unsere erste Begegnung mit einem Amazonas Delphin. Ich hatte mir die Delphine mehr wie aus einem Disney Film importiert vorgestellt. Mit einem gleichmäßigen Pink und einem Gesicht, das aussieht, als würde es konstant freundlich lächeln. Was uns an der Wasseroberfläche begrüßt sieht mehr aus wie ein Alien, oder die Kreaturen aus dem Film „I am Legend“. Dennoch sind wir verzaubert und etwas traurig, als der Delphin nach ein paar Runden ums Boot wieder verschwindet. 

Den Sonnenaufgang schauen wir uns über einem weiten Feld aus hohem Gras, am Rand des Flusses an. Die gespannte Ruhe ist schön und die Luft angenehm warm, während die Sonne sich langsam über den Horizont erhebt und den bewölkten Himmel in verschiedene lila und orange Töne taucht.

Zurück im Hostel gibt es Frühstück. Als wir die Israelis fragen was heute morgen passiert ist, bekommen wir nur ein etwas beschämtes. „It was early and we are not serious people like you“ zu hören. Auch aus Jimmy bekommen wir nicht raus, ob er einfach nur verschlafen hat. 

Nach dem Frühstück springen wir als vollständige und teilweise ausgeschlafene Gruppe ins Boot. Wir fahren bis zu einer Stelle, an der der Fluss zu einer Art See verbreitert ist. Hier halten wir am Rand. Hier wollen wir mit den pinken Delphinen schwimmen, deren Bekanntschaft wir schon am Morgen gemacht haben.  Wir sind 50 Meter entfernt von einem anderen Boot das gerade fleißig Piranhas fischt und 200 Meter entfernt von einer Stelle an der wir Pedro besuchen  werden – einen 5 Meter langen schwarzen Caimanen. 

Merkwürdig, dass die Ermunterung eines Menschen mit dem man sich nur gebrochen verständigen kann ausreicht, um in ein trübes Gewässer zu springen in dem man mit eigenen Augen Caimane gesehen und mit eigenen Händen Prianhas gefischt hat. Die Delphine spüren Angst und Nervosität, deswegen soll man entspannt ins Wasser gehen wenn man möchte, dass sie sich nähern. Wie man die Nervosität wegen der Caimane und Prinhas in dem trüben Flusswasser ablegt, kann uns aber keiner sagen. Trotzdem springe ich gemeinsam mit ein paar anderen Unerschrockenen vom Boot ins Wasser. Und Überraschung: die Delphine lassen sich nicht blicken.

Die Rückfahrt nach Rurrenabaque

Laut plan sollten wir jetzt durch den Dschungel wandern, auf der Suche nach Anakondas. Es gibt in der Nähe ein sumpfiges Gebiet von dem man weiß, dass sie dort brüten. Die Realität belehrt uns aber eines Besseren. Erst bekommen wir gesagt wir sollten schnell packen und aufs Boot kommen, weil es bald los ginge. Dann passiert 30 Minuten nichts und plötzlich wird zum Mittagessen gerufen. Es ist gerade 11:20 Uhr. Danach geht es, ohne die Anakondasuche mit einem Wort zu erwähnen, wieder die 2 Stunden Fahrt zurück zum Anleger. 

Die Rückfahrt vom Anleger nach Rurrenabaque wird noch unangenehmer als die Hinfahrt. Wir sind eine Person mehr im Auto, es riecht gefährlich stark nach Benzin und die Klimaanlage ist kaputt. Weil die Fenster während der Fahrt offen bleiben müssen, ist das Gepäck im Kofferraum nachher mit einer dicken Sandschicht bedeckt. Da wir spät dran sind, geht es zurück in Rurrenabaque darum, schnell umzupacken und uns auf dem Weg in den Dschungel für unsere Semi-Survival Tour zu machen. 

Teil 2: Die Survival Tour mit Nachwehen

Wir tauschen unsere Wanderschuhe gegen Gummistiefel, bewaffnen uns jeweils mit einer Machete und bekommen jeder eine Tüte mit Nudeln, Reis, Zucchini, Zwiebeln und anderen Lebensmitteln, die in die Rucksäcke kommen. Am Ufer des Rio Alto Beni kraxeln wir einen steilen Abhang am Wasser abwärts und steigen ins Boot. 

Dann geht es 1,5 Stunden den Fluss entlang, dessen Ufer an eine Fahrt durch den Juressic Park erinnert

Am Ufer angekommen stiefeln wir durch den Morast, zwischen Bambus Sträuchern durch. Nina bleibt nach einigen Metern im Schlamm stecken und muss rausgezogen werden. Der Dschungel zeigt uns direkt, dass er es ernst meint. Wir laufen ein kurzes Stück in den Wald. Hier finden wir eine alte Feuerstelle und ein einfaches Gestell aus dicken Bambusstämmen, die mit Streifen aus Rinde aneinander befestigt sind. Drei Horizontale Streben auf Stützen, von denen die Mittlere auf ca. 1,8 Meter Höhe ist. 

Der größte Feind im Dschungel sind nicht die Pumas oder Wildschweine, nicht einmal Spinnen. Da die Dämmerung schon eingesetzt hat, kümmern wir uns als erstes um das Feuer. Dazu laufen wir zum Ufer zurück und schauen nach trockenem Holz. Am besten eignen sich die Stämme, die für mich nach angeschwemmtem Treibholz aussehen. Anschließend hacken wir Äste mit den Macheten in 1 Meter große Stücke. Die Luft ist immer noch schwül und heiß und unter unseren langen Oberteilen ist die Arbeit mit der Machete unendlich schweißtreibend. Außerdem machen wir Bekanntschaft mit unserem stärksten und gefährlichsten Feind der nächsten zwei Tagen: den Moskitos. 

Als Unterkunft spannen wir eine große Kunststoffplane über das Holzgestell. Zum Befestigen geht Juan in den Wald und kommt mit Schnüren wieder, die aus dünnen Streifen Baumrinde bestehen. Unter der Plane legen wir den Boden mit frisch geschlagenen Palmwedeln aus. Zwischen den mittleren und äußeren horizontalen Bambusbalken spannen wir die mitgebrachten Moskitonetze. Unser Zuhause für die Nacht ist fertig. Hoffentlich bleibt es trocken. 

Wir sind für die nächsten zwei Tage mit Juan und zwei Israelis zusammen: Jardin und Alex. Zum Abendessen gibt es Reis und eine Soße aus dem mitgebrachten Gemüse. Gekocht wird über dem Feuer. Dazu baut Juan aus jeweils drei 1 Meter langen Bambusstöcken und einer Liane zwei Dreibeine die jeweils neben dem Feuer aufgestellt werden. Über die Dreibeine kommt eine weitere frische Bambusstange die den Topf über dem Feuer hält. Nina und Jardin sitzen am Flussufer, waschen und schneiden Zwiebeln, Tomaten und Paprika für die Soße. 

Nachdem das Essen fertig ist, setzen wir uns alle runter an das 20 Meter entfernte Flussufer. Der Boden hier besteht aus freigespültem Kies und der Blick über den Fluss bei hellem Mondschein ist beruhigend und fast schon kitschig. Am wichtigsten aber: Hier haben wir Ruhe vor den Mücken. Das Essen findet weitergehend schweigend statt, alle sind ausgelaugt von dem Tag. Nach dem Essen setzen wir uns noch mit Juan ans Wasser. Er nutzt die Gelegenheit, um zu rauchen und wir bringen uns gegenseitig Wörter wie Milchstraße, Dschungel, Ameisen auf jeweils spanisch und englisch bei. 

Dschungel Tag 1

Am nächsten Morgen frühstücken wir den Reis vom Vortag, der zunächst von einer Kolonie Ameisen befreit werden muss. Dazu gibt es „Pan de la Silva“ das aus einem flüssigen Teig aus Mehl, Wasser und ein wenig Zucker besteht und frittiert wird. Einen Liter Frittierfett dabei zu haben fühlt sich wenig abenteuerlich an, aber wir nehmen es hin und sind dankbar für die Extrakalorien vor dem Marsch ins Dickicht. Die Ameisen schaden dem Reis geschmacklich kein bisschen und das Brot schmeckt vorzüglich.

Auf gehts in den Dschungel. Wir laufen an Bananenpalmen, Würgebäumen und oberschenkeldicken Lianen vorbei. Es ist nie still und mit jedem genauen Blick entdecken wir etwas Neues. Ameisenstraßen von Ameisen so groß wie Käfer, oder Pflanzen, die wir aus deutschen Blumenläden kennen. Zwischendurch hebt Juan kleine orange Früchte auf, die wir probieren und schabt etwas Rinde von einem Baum mit dem Hinweis, dass es sich hier um natürlichen Insektenschutz handelt. Unser Wasser teilen wir uns gut ein. Es wird ein 2,5 Stunden Marsch sein bis wir wieder an einem Fluss vorbei kommen. Um das Wasser aus dem Fluss zu trinken hat Juan eine kleine Flasche mit Chlorid dabei. Mit drei Tropfen auf den Liter werden die Bakterien im Wasser getötet und so für uns verträglich gemacht. 

 

Um die Mittagszeit kommen wir am nächsten Camp für die Nacht an, an einem Flussufer an dem sich ein Sandstrand ausgebildet hat. Hier steht zwar noch ein ähnliches Gestell aus Bambusstangen wie wir am Vorabend vorgefunden haben. Die Streben sind aber marode und müssen fast alle ausgetauscht werden. Juan verschwindet im Bambuswald und schlägt fleißig Bambus, das wir zum Camp bringen. Wir kümmern uns um Mittagessen nachdem die Streben getauscht, die Plastikplane gespannt und Feuerholz gesammelt ist.  Es gibt Nudeln mit Kartoffeln und eine Soße aus Tomaten Zwiebeln und Paprika. Außerdem haben wir Zeit um uns im Fluss zu waschen. 

Am Nachmittag machen wir uns auf zum Fischen. Fürs Abendessen. Im Glauben, wir werden in unmittelbarer Nähe zum Camp fischen gehen, nehmen wir nur wenig Wasser mit und folgen Juan. Eine Entscheidung die uns noch zum Verhängnis werden wird.

 

Zunächst werden Maden als Köder gesucht. Dazu halten wir nach kleinen gelben Eiern an den Blättern der Bambusstämmen Ausschau. Sie sehen ein bisschen aus wie Kaviar in Honigfarben. Sobald wir eine solche Ansammlung gefunden haben, schlagen wir vorsichtig mit der Machete den Bambus auf und in der Mitte vom Ast befindet sich eine schwarz weiße Made. Leider finden wir diese Nester eher selten und machen uns nach einer Stunde suchen mit drei Maden, die Juan in seine Brusttasche fallen lässt, weiter auf den Weg. 

 

Nach 20 Minuten Fussweg ist unser Wasser aufgebraucht und aus Juan ist nicht rauszubekommen, wie lange wir noch laufen bis es zum Angeln geht. Auf unsere Hinweise, dass wir lieber wieder zurück gehen würden, geht er nicht ein. Als wir ein an einem kleine Bachlauf vorbei kommen, der um einige Grad kälter ist das Wasser an unserem Lager, versichert uns Juan, dass wir dieses Wasser problemlos trinken können. Das Chlorid hat er nicht dabei.

Das Fischen bleibt erfolglos. Juan hat irgendwie die gefundenen Maden verloren und wir finden nur eine neue. Die wird in drei Teile zerteilt und auf Angelhaken gespießt. Aber es beißt nichts an. Den Israelis ist die Lust aufs Angeln vergangen und sie versuchen es gar nicht erst. Es gibt für uns wohl kein Fisch zum Abendessen. Geschlagen machen wir uns wieder auf den Weg zum Camp. 

 

Der Reis und die Gemüsesoße, die es zum Abendessen gibt schmecken auch gut. Ich nehme Juan das Kochen der Soße ab. Wir belohnen uns für die Anstrengung des Tages in dem wir Abends im Dunkeln im Fluss baden gehen. Die Luft hat sich nicht abgekühlt und die Wasseroberfläche schimmert silbern im Mondschein. Bis auf das plätschernde Wasser ist es ruhig und die Moskitos lassen uns hier in Ruhe. Zum ersten Mal seit Beginn der Dschungeltour stellt sich so etwas wie Entspannung ein.

Der Weg zurück in die Zivilisation

Wir freuen uns das es ab jetzt wieder Richtung Zivilisation geht. In dieser Stimmung packen wir am nächsten Morgen die Moskitonetze, die Isomatten und die große Plastikplane ein, die unser Nachtlager ausgemacht haben. Als wir zurück am Ufer des Rio Beni ankommen, müssen wir nur noch auf das Boot warten. Wie bestellt fängt es in dem Moment in dem wir uns ans Ufer setzten an zu regnen. Unser Boot lässt zum Glück nicht lange auf sich warten. 

Nachwehen des Dschungels

Zurück in der gemütlichen Hängematte des Hostels können wir den Luxus von kaltem Bier und für uns gekochtes Essen nur kurz genießen. 

Mein Magen fängt Abends an sich umzudrehen und ich verbringe die Nacht auf dem Klo wie eine Bierdose die erst geschüttelt und dann von beiden Seiten angestochen wird. Am nächsten Tag sagen wir die gebuchte Busfahrt ab, verlängern das Hostelzimmer und rufen einen Arzt. Ein weiteres Mal verschieben sich unsere Pläne wegen meinem Magen. Ich werde an einen Tropf gelegt weil ich zu viel Flüssigkeit verloren hab und es werden Proben von allem was mein Körper an Flüssigkeiten hergibt genommen. Um eine Vene zu finden sticht die Krankenschwester bestimmt sechs Mal zu – wir werden keine Freunde mehr. 

Zwei Stunden später kommt der Arzt mit den Ergebnissen wieder: Ich habe Dengue Fieber und einen hässlichen Darmvirus. Gleichzeitig. Er bringt mir eine Batterie aus verschiedenen Antibiotika und Säureblockern sowie einem Mittel, um den Durchfall zu stoppen. Eine Tablette muss ich alle 12 Stunden nehmen, die andere alle 8 Stunden, die nächste Ereignisbezogen und so weiter. Ein Plan der die nächste Woche meinen Tag durchstrukturiert und eine würdige Trophäe um unseren ersten Trip durch den Dschungel zu signieren. Abends muss nochmal eine Krankenschwester kommen und mir ein Mittel gegen das Erbrechen spritzen, weil die Tabletten sonst nicht drin bleiben. Dann haben wir erstmal Ruhe. 

Obwohl ich mich ausruhen sollte steigen wir am nächsten Tag in den Bus zurück nach La Paz – wir möchten den gebuchten Flug nach Kolumbien nicht verpassen. Am Tag des Check-Outs findet auf der Straße direkt vor unsrem Hostel ein TukTuk Rennen statt. Dabei rasen die TukTuks frisiert und mit abgetrenntem Dach, mit jeweils zwei Personen besetzt, einzeln die Straße entlang und es wird die Zeit genommen. Fahrer und Beifahrer tragen Helme und bunte, mit Reklame überzogene Oberteile, ähnlich wie Formel eins Fahrer. Wir interpretieren die Überraschung als ein Zeichen, dass das Glück wieder auf unserer Seite ist – weit gefehlt.

Die Rückfahrt nach La Paz: Eine letzte Zerreißprobe

In der Empfangshalle des Busterminals kommt uns ein dürrer dunkler Mann entgegen, der freundlich lächelt. Die abgenutzte, teils löchrige Kleidung und der dürre Körper lässt mich den Bolivianer als Obdachlosen einschätzen, der sich die Zeit in der überdachten Halle vertreibt. Später wird sich rausstellen, dass es sich um unseren Busfahrer handelt. Im Bus liegt ein Geruch wie im Fitnessstudio im Winter, wenn es viel zu voll ist und die Fenster nicht geöffnet werden. 

 

Als der Bus aus dem Terminal rollt braucht er drei Versuche um anzufahren. Der Motor läuft, aber der Gang scheint nicht angenommen zu werden. Nach viel Gas und einigen Versuchen geht es aber irgendwann. Alles an diesem Bus wirkt unsicher, Lenkbewegungen nach rechts sind immer ruckartiger als nach links, das Fahrwerk wirkt schwammig. Die Scheibe vor der wir sitzen ist in der rechten oberen Ecke mit Klebeband und so etwas wie Knete geflickt, in der linken oberen Ecke tummelt sich ein Fliegenschwarm der dort zu leben scheint. Die Straße wechselt regelmäßig zwischen Asphalt und Schotterpiste. Dann tastet der Bus sich langsam durch die Staubwolke des Vordermannes und der Bus wird durchgeschüttelt. Die Strecke ist zum größten Teil eine Slalomfahrt zwischen den Schlaglöchern hin und her bei denen der Fahrer versucht die Reifen immer durch das am wenigsten tiefe Schlagloch fahren zu lassen. 

 

50km vor La Paz kommen uns auf einmal Fahrzeuge mit schneebedeckten Dächern entgegen. Die Landschaft um uns herum wird zunehmend weißer und ähnelt einer Winterlandschaft in Österreich. Auch auf der Straße liegt irgendwann eine 5 cm dicke Schneedecke, die von den Fahrspuren der Autos durchzogen sind. 

25 km weiter kommt der Bus plötzlich zum Stehen. Die Versuche des Fahrers wieder anzufahren scheitern und im Bus riecht es beissend nach zu heiß gewordener Kupplung. Wir stehen auf einer steilen Passstraße und es schneit heftig. Zu allem Überfluss wird Nina plötzlich höhenkrank – wir stehen mit dem Bus auf über 4000 Meter. 

Der Busfahrer verschwindet mit einem Maulschlüssel, Hammer und Schraubenzieher im Motorraum. Nach guten 1,5 Stunden Standzeit geht es langsam weiter, aber nur bis zum Ende vom Stau der sich auf dem Pass gebildet hat. Vor uns stehen so weit das Auge reicht Kleinbusse, Reisebusse und LKW’s im Schnee und es geht nichts voran. Nina geht es von Minute zu Minute schlechter. 

Ich erinnere mich, dass Koka Blätter bei Adriano so gut geholfen haben als er krank war und daran, dass Busfahrer sich häufig auf langen Fahrten damit wach halten. Glücklicherweise hat der Fahrer tatsächlich einen Beutel Kokablätter neben sich. Nachdem ich ihm kurz erkläre, dass Nina krank ist und ich vermute das liegt an der Höhe, teilt er seinen Beutel Kokablätter mit mir. Das Kauen der Blätter sorgt dafür, dass es Nina besser geht und sie einschläft. Der Geruch nach Kupplung hat sich verzogen und wir riechen nur noch das Klo, in dem der Boden vom vielen hin und her Geschaukel klatsch Nass ist. 

Nach Stunden im Stau geht es plötzlich voran und wir rollen mit Schrittgeschwindigkeit durch eine schmale Schneise von Fahrzeugen die rechts und links am Straßenrand stehen. Alles ist weiß, wir fühlen uns als würden wir durch ein Skigebiet fahren. Noch 20 km bis La Paz und der Bus bewegt sich. Es geht abwärts und die Straße ist zweispurig. Den Stau scheinen wir hinter uns gelassen zu haben. 

Rückwirkend betrachtet kann man sagen, dass wir Glück hatten: Wir hatten einen Motorschaden aber Glück, dass er sich reparieren ließ. Wir standen ewig im Stau, kurz vor Ende der Fahrt, hatten aber Glück, dass der Diesel gereicht hat, um den Bus warm zu halten. Nina ist höhenkrank geworden aber hatten Glück, dass uns jemand Kokablätter gegeben hat. Wir hatten Glück, dass sich weder der Darmvirus noch das Dengue Fieber während der Fahrt gemeldet hat und wir hatten Glück, dass wir mit soviel Puffer zum Flug nach Kolumbien unterwegs sind, dass wir den immer noch spielend erreichen werden. 

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One Response

  1. Ja, das Glück ist auf eurer Seite! Aber wißt Uhr auch warum? Es ist auf eurer Seite weil ihr ihr es seht, es wahrnehmt, es schätzt und anerkennt . Ihr seid dankbar und achtsam und euer Blick ist geschärft auch für die kleinen, feinen Dinge und Momente, darum könnt ihr auch das Glück im vermeintlichen Unglück erkennen .
    Glück ist eine Einstellung zum Leben ❣️